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Françoise Hynek / Peter Urban-Halle: Jahreszeiten der französischen Küche

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Am Beispiel von 77 klassischen Rezepten der französischen Küche, eingebettet in die vier Jahreszeiten, beschreiben die Autoren dieses hübschen Bändchens mit einem Umschlag aus rotem Leinen das, was die UNESCO im Jahr 2010 zum ersten Mal als „immaterielles Kulturerbe“ anerkannten: Die Essenssitten einer Landesküche, und zwar derjenigen Frankreichs. In wenigen Sätzen steht im Vorwort das, was dies ausmacht: „Essen heißt, sich die Geschichte der Welt einzuverleiben, die Geschichte der großen Entdeckungen und Eroberungen, der Gewürz- und Salzstraßen, der Kolonisation und Dekolonisation, aber auch unserer Kindheitserinnerungen, die unserer Großeltern und Eltern, unserer Urlaubsaufenthalte.“ (7). Für die Franzosen ist das Essen die wichtigste Lebensfreude (neben der Liebe), was sich auch in der Geschichte der Entstehung des Guide Michelin spiegelt: Kaum gab es Autos (die nicht weit fuhren, weil der Tank zu klein war und man häufig eine Panne hatte), entstand der Michelin-Führer mit nützlichen Ratschlägen, wo man am besten speiste und übernachtete.

Die Rezepte geben die Lebensphilosophie der Franzosen wieder: Man lebt, um zu essen, nicht umgekehrt. So nimmt die Zubereitung und das gemeinsame Mahl bis heute einen großen Stellenwert in der Alltagskultur dieses Landes ein, in der man vorzugsweise anhaltend frische Zutaten verarbeitet. In vier übergeordneten Kapiteln entfalten sich die Gerichte der jeweiligen Jahreszeit, mit einer kurzen Beschreibung derselben und ihrer Besonderheiten. Der Frühling zeichnet sich dadurch aus, dass er im Süden früh beginnt und die Kraft der Sonne die Blüten der für die mediterrane Küche so typischen Kräuter wie Rosmarin, Thymian und dergleichen kräftig schießen lässt. Man streut diese frischen frühen Kräuterblüten auf Bratkartoffeln oder lässt eine Entenbrust darin schmoren. Es ist die Zeit, wo die Einheimischen gerne mal ihren Wohnsitz wechseln, vom Winter- ins Sommerhaus ziehen oder dort zumindest Tage verbringen.

Zum späten Frühjahr gehören als Desserts die Akazienblütenkrapfen, der Auflauf mit Erdbeeren und Rhabarber, und der besonders bei Kindern beliebte Nachtisch „Schwimmende Insel“. Der heiße Sommer ist die Urlaubszeit und die Zeit der Touristen, die ins Land strömen. Ein typisches Gericht ist das leichte Ratatouille, am besten mit frischem Baguette genossen. Aber auch Artischocken werden vielfältig verarbeitet, das Aiolli gehört zum Sommer wie das Nacktbaden, die Hühnchentajine mit eingelegten Zitronen zeigt den Einfluss Nordafrikas auf die französische Küche und hat sich inzwischen etabliert wie das Couscous; es gehört dazu. Baskische Rezepte wie das gefüllte Gemüse oder katalonische wie die Lammschulter mit Sauerkirschen oder die Crème catalane bereiten auf den provenzalischen Sardellenkuchen vor, bevor das Brombeergelee diese Saison abschließt. La vie est dure sans confiture!

Der Herbst ist gekennzeichnet durch Wild- und Fleisch-, besonders Geflügelgerichte, da in Frankreich noch häufig und viel gejagt wird. Deftige Kohl- und Gemüseterrinen begleiten die Saison, gemeinsam mit Fischgerichten und den himmlischen Apfel- und Birnentartes auf Mürbteig, Zwiebelkuchen mit Ziegenkäse, gebratene Feigen in Rivesaltes, eingebettet in regionale Gasthaus-Empfehlungen (wie in den anderen Kapiteln auch). Der Winter gilt als die kulinarische Verlängerung des Herbstes, in den man einige Sonnenstrahlen hinein zu retten versucht (und im Süden dann schon bald wieder den Frühling zu riechen meint). Zentral ist heute die Kartoffel, die erst ab dem 18. Jahrhundert Einzug in die französische Küche hielt; ab dann aber nicht mehr wegzudenken ist. Ludwig XVI. ließ um 1780 die ersten Kartoffelfelder in der Ebene von Sablons bei Paris anlegen, um die Knolle heimisch zu machen und durchzusetzen; er selbst soll gerne eine Kartoffelblüte am Revers getragen haben. So finden sich gleich mehrere Kartoffelrezepte eingangs des Kapitels, gefolgt von Cassoulets, Hühnchen in Wein, Käse- und Eiergerichten, dem Lothringer Speckkuchen und einem gefüllten Weihnachtskapaun, auf den verschiedene Nachtische folgen, darunter Apfel- und Schokoladenmousse. Ob die Mousse au chocolat als `das französische Dessert´ par excéllence wirklich nur von Akademikern ernst genommen wurde, sei einmal dahingestellt ((152), aber die Autoren haben sicherlich die erforderlichen Einblicke für solche Weisheiten (mich persönlich spricht das Apfelmousse in Calvados stärker an). Sehr lecker klingen „Pithiviers“ (eine Art Galette), die Apfelsinen mit Zimt und Orangenblütenwasser und der unschlagbar gute Zitronenkuchen mit einer Crème aus unbehandelten Zitronen. Die süße Leichtigkeit begleitet die sättigende Herbstschwere.

Françoise Hynek und Peter Urban-Halle haben alle Rezepte eingebettet in kleine Beschreibungen der Regionen, aus denen sie stammen, mit kleinen Anekdoten, eigenen Erlebnissen und gastronomischen Erfahrungen, manchmal historischen Einsprengseln und kleinen kulinarischen Verhaltensweisen und Essenskodexen: Im Norden (bis Paris) wird mit Butter gekocht, ab Paris südwärts vorzugsweise mit Olivenöl. Üblicherweise wird in Frankreich nach dem Essen zur Verdauung eher ein Kräutertee, die tisane, angeboten, als ein Schnaps. An Festtagen gilt jedoch Anderes, auch gibt es dann in der Regel mehr Gänge als die sonstigen drei.

Eine kleine Bibliographie der zur Konsultation herangezogenen Kochbücher (darunter auch eindrucksvolle historische Werke) sowie ein Register runden dieses wunderhübsche Kultur-Kochbuch ab, das mit einigen Schwarz-Weiß-Fotos bebildert ist, die zum Teil von den Autoren bzw. deren Familienangehörigen stammen und mit kleinen Zeichnungen hübsch illustriert ist. Jetzt heißt es nur noch: Ab in die Küche, ran an die Töpfe!

Rezension von Assia Maria Harwazinski

Françoise Hynek / Peter Urban-Halle (2013): Jahreszeiten der französischen Küche. Eine kulinarische Reise mit 77 Rezepten. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 168 Seiten, 15,90 Euro. Kaufen bei Amazon.


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